Gedanken einer Schreibtischunterlage
13.06.1999 by Amund
Endlich Ruhe! Nun sehe ich auf den Tatort Schreibtisch hinunter. Genügend Abstand, um meine Memoiren zu schreiben. Frau Soundso wollte mich gealterte und entblätterte Schreibtischunterlage schon in den Papierkorb stopfen. Aber es ist ihr glücklicherweise auf Grund unvereinbarer Größenunterschiede zwischen mir und dem mickrigen Papierkorb nicht gelungen. Nun hockt sie da unten auf dem schmuddeligen Bürostuhl, und ich habe den Überblick vom Aktenschrank auf das Geschehen. Viele haben schon auf diesem Stuhl da unten gesessen. Drei habe ich ganz persönlich erlebt. Sie haben auf mir geschrieben, gekrakelt, ihre viel zu heißen Tassen abgestellt, sich bei mir abgestützt, mich angestöhnt und, sehr selten, angelacht.
Der Erste war Herr Istegal. Er hat mich als Geschenk bekommen. Nicht von einem Vertreter. Nein, von seiner Frau!
Ich wußte nie genau, wann er in meine Nähe kommt. Aber sicher war, daß Herr Istegal nicht viel länger als seine acht Pflichtstunden blieb. Er saß nicht so gerne am Schreibtisch, obwohl er mich liebte. Mir vertraute er nicht nur seine Aufgaben an, sondern auch durch geheime Symbole seinen Unmut über dieselben. Damit war aber auch der Ärger verraucht, und mitunter verrauchte damit auch die Aufgabe. Ich kann es bezeugen! Manches Blatt riss er von mir ab, und da war nicht einmal die Hälfte erledigt. Seine Devise hat er mir mal mit einem roten Stift aufgeschrieben: “Was ich vergesse ist unwichtig!” Sicher, er machte, was zu tun war. Seine freundlichen Gespräche waren jedoch nur ein Teil seines Gesichtes. War die Tür zu oder der Hörer aufgelegt, schälte Herr Istegal das unbedingt Notwendige aus den ihm angetragenen Aufgaben. Den Rest schmiss er elegant aus seinem Gedächtnis. Er hatte auch ein paar Hobbys, die er geschickt mit seiner Arbeit verband. Da war z.B. sein Angelverein. Manchen Entwurf der Tagesordnung für die nächste Sitzung hat er auf mir notiert. Dazu kamen dann die Telefongespräche, um alles richtig in den Griff zu bekommen. Dabei konnte Herr Istegal richtig engagiert werden. Es kam vor, dass er auf mich einschlug. Ob aus Freude oder Mißmut war nicht immer klar. Sonst war er bei Mitarbeitern, die nichts von ihm wollten, beliebt, weil freundlich und unaufdringlich. Bei den anderen, die mit ihm richtig zusammenarbeiten mussten, war die Kunst der steten Wiederholung und die Melodie des Seufzens weit verbreitet. Warum er schließlich ging, weiß ich gar nicht. Eines Tages holte er sein Fischbild aus dem Büro, riß noch das letzt Blatt mit den Sitzungsentwürfen für den Angelverein ab und verschwand.
Dann kam Frau Kurzundbündig. Pünktlich um sieben Uhr dreißig. Bei ihr lernte ich Tabellen noch und nöcher kennen. Alles was zu tun war, Notizen von Gesprächen und anderes wurden auf mir in Tabellen strukturiert. Und dann ging es los. Keine Krakeleien, keine Privatgespräche. Nur Sachlichkeit und Disziplin. Sie hat wohl effektiver gearbeitet als alle vor und nach ihr. Trotzdem ließ sie kaum eine Pause aus und ging meist genau so pünktlich wie sie kam. Alle Schreibtischunterlagen und die Mitarbeiter waren sicher von ihr beeindruckt, aber gelacht und geklatscht wurde bei ihr nicht. Auch ich hatte kein richtigen Spaß mit ihr. Das war zwar alles interessant, und ich lernte durch ihre Tabellen erst einmal verstehen, was diese Arbeit eigentlich bedeutet, aber es fehlte mir einfach das Persönliche. Kein Klatsch, kein Tratsch, kein ausschweifendes Gespräch über die wichtigen Nebensächlichkeiten des Lebens, wie zum Beispiel das Wetter. Merkwürdig war nur, dass sie immer ziemlich lange auf der Toilette war. Die Tageszeitung nahm sie heimlich mit.
Sauer wurde Frau Kurzundbündig, wenn zusätzliche Arbeiten erledigen werden sollten und der in der Tabelle gegliederte Arbeitsplan für den Tag durcheinander kam. Aber irgendwie schaffte sie es mit Verbissenheit und festem Druck ihres Stiftes fast immer und ging doch pünktlich aus dem Büro. Sie hasste Überstunden und auch das Gespräch darüber.
Herr Undsoweiter, der danach mein Leben kreuzte, war ein echter Langstreckenläufer. Er kam früh, selten sehr früh und blieb sehr lange. Die einsamen Nachtstunden verkürzten sich für mich. Allerdings hatte ich nicht viel von seiner Anwesenheit, denn ich konnte Herrn Undsoweiter und ein winziges Stück Himmel nur mit Mühe sehen. Immer war ich bedeckt mit Zetteln und völlig unerotischen Akten. Aber welch ein tolles Gefühl, wenn Herr Undsoweiter herumwühlte, um etwas zu finden. Das war Massage pur für mich. Er fühlte sich wiederum massiert, wenn Besucher seinen Arbeitseifer lobten und seine Überstunden bestaunten. Dann bekam ich auch einen schwungvollen Haken von seinem eleganten Schreiber ab. Allerdings muss ich sagen, dass er sich auch oft einfach gehen ließ und redete, und redete und redete. Auf Grund meiner Natur liebe ich eher das Schreiben auf meinem Rücken, so wie es Frau Kurzundbündig pflegte. Viel-Schaffen und Viel-Reden müssen wohl in den Köpfen der Menschen Geschwister sein. Und die Eltern sind Viel-Zeit. Da fällt mir ein Trick von meinem Vater ein: Die Schreibtischlampe mit einem Zeitschalter kombinieren und bis spät abends brennen lassen. Die Leute werden begeistert sein!
Was Herr Undsoweiter gut beherrschte, besser als Frau Kurzundbündig – er wirkte immer in Eile. Ein ganz Netter, der sich für alles kurz mal Zeit nimmt. Spitze war, wenn er seine artistische Kunst demonstrierte: Döner essen, dabei telefonieren und gleichzeitig Notizen machen. Allerdings bekam ich so immer mein Fett ab. Eklige Flecken auf meinem stolzen, schönen Papier!
Frau Soundso da unten am Schreibtisch benutzt übrigens gar keine Schreibtischunterlage. Ob das gut geht?
amund
Juni 1999